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Die Tauschringbewegung als gesellschaftliches Experiment!

Sicher beteiligen sich viele Menschen aus ganz pragmatischen Gründen an einem Tauschring, zB. weil sie wenig Geld haben und durch den geldlosen Tausch ihren Lebensstandard zu verbessern versuchen. Das ist ein völlig akzeptables Motiv und ein wichtiger alter Grundgedanke der Tauschringbewegung.

Ich möchte allerdings die Frage diskutieren, ob und wo die Tauschringbewegung darüber hinaus visionäre Momente einer neuen gesellschaftlichen Kultur und Wirtschaftsform enthält.

Gibt es Aspekte der Tauschringbewegung, die über die gegenwärtige Struktur der Gesellschaft hinaus weisen?

Die gegenwärtige wirtschaftliche und gesellschaftliche Krise lässt sich nach altem Muster als konjunkturelles Problem erklären; dann braucht man nur noch auf den nächsten Aufschwung (z.B. die nächste Kondradieff-Welle) zu warten. Oder man sieht sie als das Ende eines Paradigmas, als eine säkulare Krise, in der alte Lösungen nicht mehr taugen, in der neue Lösungen gefunden werden müssen. Die folgenden Gedanken setzen die Vorentscheidung voraus:

   1.      die Tauschringbewegung bietet mehr als eine pragmatische Lösung und

   2.      die gegenwärtige ökonomische und gesellschaftliche Krise braucht neue Lösungen.

Das grundsätzliche Problem besteht m.E. darin, dass die entscheidenden Parameter des Systems nicht (mehr) funktionieren: Marktwirtschaft basiert auf dem Äquivalententausch, der Geldlogik, also darauf, dass jeder seinen Anteil am gesellschaftlichen Reichtum (dem Sozialprodukt) unerbittlich erst verdienen muss. Geld ist also Voraussetzung der eigenen Existenz und dieses muss durch irgendeine (Erwerbs-) Arbeit beschafft werden. Gleichzeitig bewirkt die mikroelektronische Revolution (Digitalisierung, neue Informations- und Kommunikationstechnologien usw.) eine historisch beispiellose Steigerung der Produktivität, nimmt uns zunehmend die Arbeit ab. So wird es für immer mehr Menschen immer schwieriger, sich genügend Geld für eine angemessene Teilhabe am gesellschaftlichen Reichtum zu verschaffen. Es gibt einfach immer weniger Arbeitsplätze und immer weniger Marktlücken, um die volle ökonomische Integration aller Menschen über Geld zu gewährleisten.

Staat und Politik können dieses Problem nicht lösen, da sie selber auf Geld angewiesen sind, also gerade von einer funktionierenden Wirtschaft abhängen.

Zukunftsfähige Lösungen müssten also versuchen, sich aus der Geldlogik (und der Form der „abstrakten Arbeit“) zu befreien und von Staat und Politik unabhängig zu werden. Der Erwerbsgedanke müsste von der Arbeit abgetrennt werden; Arbeit könnte tendenziell zur Liebhaberei, zum Hobby werden, wie heute schon in der freien Software- Bewegung. Wer arbeitet, wo, wann und weil er es selber möchte, primär („intrinsisch“) motiviert ist, selbstverantwortlich gestalten will, der braucht nicht mehr abzurechnen, nicht auf die Gegenleistung , die Entlohnung zu schauen. Die Frage der Zukunft wird nicht mehr sein: " Wie und wo finde ich einen Arbeitsplatz, eine „Marktlücke“? Wer stellt mich ein? " Sondern: " Darf ich bei euch mit machen? Kann ich mich mit meinen Ideen und Fähigkeiten hier einbringen? Möchte ich ein eigenes Projekt initiieren?"

Das, was bei dieser freien Tätigkeit herauskommt, ist für alle frei, kann von jedem/r genommen werden, ohne, dass eine Verpflichtung gegenüber den Produzenten besteht; denn diese waren ja gerne tätig, hatten dabei eine „schöne Zeit“ und erwarten deshalb keine Gegenleistung- niemand ist ihnen etwas schuldig.

Mit wachsendem gesellschaftlichen Reichtum könnten wir der Vision näher kommen: jeder tut das, was er interessant, wichtig, befriedigend findet, und nimmt das, was er zu einem guten Leben braucht, was er haben möchte. Leben und „Arbeit“ stehen nicht neben oder gegen einander, Produktion und Konsum sind nicht länger getrennte Welten mit streng geregeltem Zugang.

Kann die Tauschringbewegung ein Anfang, Baustein, ein Experiment für eine solche freie Gesellschaft sein?

Ich glaube, dass es durchaus einige Aspekte der Tauschringbewegung gibt, die das Potential einer Keimform oder Vorübung haben, die allerdings ständig in Gefahr stehen, vereinnahmt zu werden, und innerhalb der herrschenden Gesellschaftslogik schwer zu entwickeln und zu pflegen sind:

1. Tauschringe stellen keine Forderungen an Staat und Politik, sondern handeln selbstständig, selbstverantwortlich, werden selber aktiv, machen neues, ohne Staat und Politik einzubeziehen. Sie bauen also von unten eine neue Struktur auf. Das Motto: „Wir warten nicht auf den Staat, sondern handeln selber!"

Allerdings: diese Eigenständigkeit und Originalität leidet in dem Maße, in dem Tauschringe sich der herrschenden Logik anzupassen versuchen, von Staat und Politik anerkannt und als kompetente Wirtschaftsfachleute oder Unternehmer gelten wollen.

2. die Tauschringbewegung gibt tendenziell die Geldlogik als Basis ihrer Ökonomie auf. Um hier mitmachen zu können, braucht man definitiv kein Geld, muss nicht liquide sein. Dieses allmächtige Mittel "Geld ", das in der herrschenden Ökonomie Voraussetzung für alles ist, wird einfach nicht verwendet und vorausgesetzt. Das Motto der Tauschringbewegung ist: "Wir organisieren uns ein gutes Leben ohne Geld!"

Allerdings: wenn Geld nur durch eine andere Berechnungsmethode ersetzt, wenn auf die Verrechnung und exakte Verbuchung mehr Energie gelegt wird als auf das gute Leben durch den Austausch selbst gewählter Tätigkeiten, wenn es wieder nur hauptsächlich darum geht, durch ungeliebte Arbeit Anspruch auf benötigte Gegenleistungen zu erwerben, dann dürfte das visionäre Moment in den Hintergrund treten.

3. eine weitere Stärke der Tauschringbewegung ist ihre Distanz zu einem staatlich ernannten und geprüften Expertentum. Jeder Mensch hat Fähigkeiten, die nicht von irgendeiner Instanz erst bescheinigt werden müssen und auf die er sein Leben lang festgelegt wird. In der Tauschringbewegung gelten die Leistungen und Fähigkeiten, die jeder an sich selbst entdeckt, anderen zur Verfügung stellt und von ihnen anerkannt werden. Das Motto heißt: „Was wir können und erwarten, definieren wir selber! ".

Allerdings: Auch hier hängt das visionäre Moment vom Selbstbewußtsein jedes einzelnen und von der Eigenständigkeit der Tauschringidee ab: Eine „Qualitätssicherung“ müßte eigene inhaltliche und ästhetische Kriterien entwickeln und dürfte nicht versuchen, die herrschende Logik zu imitieren.

4. damit gibt es auch einen Impuls zu Überwindung der traditionellen Arbeitsteilung von männlich und weiblich, von Erwerbsarbeit und „Ehrenamt“, von "harter" Ökonomie und Betreuungstätigkeiten („care- economy“) von rechter und linker Gehirnhälfte, von rationalen und emotionalen Leistungen usw. unter dem Motto: „Jeder Mensch ist wertvoll und hat viele nützliche Fähigkeiten".

Allerdings: es ist nicht leicht, angesichts der herrschenden Werte und Vorstellungen von „nützlich“ im Sinne von „funktional, brauchbar, produktiv“ eigene Kriterien für den Wert von Menschen zu entwickeln, zB. Werte wie „müßig“, „langsam“, „nicht erfolgsorientiert“, „spielerisch“, „störend“, „behindert“ usw. auch emotional zu verstehen und zu vertreten.

5. bietet die Tauschringbewegung den Anfang einer neuen (alten?) sozialen Kultur: freundschaftlich, nachbarschaftlich, verantwortlich für andere - gegenüber der weit verbreiteten gesellschaftlichen Anonymität. Gemeinschaft statt Gesellschaft ?

Allerdings: Gerade dieser Anspruch könnte das wichtigste Gegenargument bzw. der größte Vorbehalt gegenüber Tauschringen sein. Ich werte es durchaus als emanzipatorische Leistung der Geldlogik, dass kein persönliches, intimes Verhältnis zwischen den Tauschpartnern nötig ist. Ich muß mich nicht erst mit jemand anfreunden oder irgendwie gut verstehen, um mit ihm tauschen zu können. Den emotionalen und kommunikativen Aufwand in Tauschringen empfinde ich oft als umständlich und anstrengend. Freundschaftliche Kontakte beliebiger Intensität sollten selbstverständlich möglich, aber nicht von der Struktur her erforderlich oder erwünscht sein. Die neue Logik der Gesellschaft sollte nicht hinter die Freiheit des Geldes zurückfallen, sondern sie weiter ausbauen. Und das ist vielleicht erst dort möglich, wo es nicht mehr um „teilen“ und tauschen geht, sondern Güter und Tätigkeiten frei zur Verfügung stehen- wo also nicht mehr „rationiert“ und berechnet werden muß und keine moralischen Anstrengungen mehr nötig sind. Läßt sich dieser Ansatz in der Tauschringbewegung denken- oder ist und bleibt sie eine Knappheitsverwaltung (Not- und Nischenlösung) ?

s.a.: www.unverdient.de

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Page last modified on 16.10.2007 21:12 Uhr