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Zu Gesell....

Meine grundlegende Kritik ist, daß hier mit einer Forderung an den Staat argumentiert, also eine strukturelle Veränderung von oben verlangt wird. ("man müßte... , es müßte durchgesetzt werden: ... Zinsen abschaffen, Bodenreform machen usw."

Daß also Forderungen an die Repräsentanten und die Exekutive dieses Systems gestellt werden, das die Probleme gerade hervorbringt, ist das Problem. Diese Forderungen haben darüber hinaus auch noch zum Inhalt, die Vorteile und Privilegien gerade der herrschenden gesellschaftlichen Gruppe in Frage zu stellen, auf deren besondere Interessen Wirtschaft, Politik und Gesellschaft zugeschnitten sind.

Mir geht es weniger um die Überprüfung oder Diskussion darüber, ob diese Vorschläge funktionieren könnten (Wörgl usw.), sondern um das politische Denkmuster dahinter. Es kommt mir so vor wie ein Appell an den Monarchen, die Monarchie abzuschaffen, bzw. seine eigene Macht einzuschränken.

Auch analytisch scheint Gesell mir zu kurz zu greifen: Mir leuchtet die Marx´sche Werttheorie mehr ein als die für mich unpräzise Gewinntheorie von Gesell. Hier wird unhistorisch Wirtschaft mit Geldwirtschaft gleichgesetzt und Zinsen als eine willkürliche Zusatzschweinerei betrachtet, eine Fehlentwicklung der "natürlichen" Ökonomie. Ich würde Gesells Absicht so beschreiben: Er unterteilt die (Mehr)wertmasse in einen "natürlichen" Teil und einen unverschämten, kontraproduktiven, gefährlichen, der abgeschafft werden muß. Es geht ihm darum, die Auswüchse des Profit- Systems zu vermeiden, also letztlich darum, die Wertmasse anders zu verteilen.

(Den Vorwurf, damit sei struktureller Antisemitismus im Spiel, indem das "schaffende" Kapital vom "raffenden" unterschieden würde, halte ich für übertrieben und meistens für denunziatorisch).

Da das System "Kapitalismus" nicht nur keine automatische Regelung für ökonomische Gleichheit ("Gerechtigkeit") besitzt, sondern weltweit und ständig Ungleichheit produziert, habe ich natürlich nichts gegen Versuche, diese Tendenz zu kritisieren und zu korrigieren. Von daher bin ich auch für die Abschaffung von Zinsen, Erlaß für alle Staatsschulden, Tobin- Steuer oder ähnliche Vorschläge.

Nur halte ich sie für völlig unrealistisch bzw. wirkungslos: Entweder werden Reformen tatsächlich durchgeführt, dann treffen sie nicht den harten Kern des Systems, oder sie haben keine Chance, wenn sie nämlich die Systemlogik wirklich bedrohen. Deshalb ist es durchaus sinnvoll, die ökonomischen Zusammenhänge zu analysieren, verdienstvoll, an einleuchtenden Beispielen die Irrationalität des Systems zu demonstrieren, aber Zeitverschwendung, entsprechende "Reformen" zu verlangen.

(Nebenbei bemerkt bleibt diese Politik auch methodisch- praktisch ganz im alten: Vereins-/Partei - Betrieb, Versammlungen, Termine, Trennung zwischen Privatleben und politischer Arbeit, Lobbyismus...) Inhaltlich bleibt diese Position immer noch auf der alten Ebene: sie versucht den System- Gewinnern einen Teil ihrer Beute mit den Mitteln des System abzunehmen.

Auf die Freie Software- Bewegung übertragen hieße das: Bill Gates sein Monopol streitig machen zu wollen, und die Forderung zu stellen, daß er sich aus der Vernunft des Systems heraus von Teilen seiner Verfügungsmasse trennen soll.

Richard M. Stallmann und Linus Torvalds (Freie Software) gingen einen anderen, den postmodernen (?) Weg: Sie schufen ein NEUES, ganz anders produziertes Betriebssystem, das in kürzester Zeit unerwartet erfolgreich wurde und auf diese Weise das Monopol von Bill in Frage stellte. Die FS- Leute folgten also gerade nicht der alten Logik, machten niemand etwas streitig, erhoben keine Forderungen und stellten kein politisches Programm für andere auf. Sie entwickelten etwas NEUES - auf NEUEN Wegen:


'''Hier ein Auszug aus Stefan Merten´s Einführungstext zu "Oekonux":

3. Freie Software als Wirtschaftsform

Freie Produkte lassen sich mit dem durch Tausch, Arbeit und Geld geprägten Denken nicht mehr richtig fassen. Es ist für viele allein schon schwer vorstellbar, warum einE EntwicklerIn kein Geld für ihre Tätigkeit verlangt. Alle Aspekte zusammengenommen handelt es sich bei Freier Produktion um eine neue, in der Geschichte der Menschheit bisher nicht dagewesene Wirtschaftsform.

3.1. Weder Lohnarbeit noch Subsistenz

Da die ProduzentInnen Freier Produkte nicht bezahlt werden - und in aller Regel auch gar nicht bezahlt werden wollen -, sind Freie Software und andere Freie Produkte so wertlos wie die Luft zum Atmen: Sie müssen nicht bezahlt werden und stehen dennoch denen, die sie brauchen, im Überfluß zur Verfügung. Gleichzeitig strengen sich Freie ProduzentInnen nicht nur für sich selbst an. Zwar spielt der konkrete Nutzen für die je persönlichen Bedürfnisse oft eine Rolle bei der Entwicklung eines Freien Produkts, doch viele Freie ProduzentInnen arbeiten zusammen mit anderen Interessierten in ihre Produkte auch unentwegt Änderungen und Erweiterungen ein, die vorwiegend anderen NutzerInnen des Produkts nützlich sind. Damit hebt sich diese Form des Wirtschaftens von allen subsistenzbasierten Wirtschaftsformen ab, die nur für die Bedürfnisse der je eigenen Person und/oder Gruppe tätig werden.

3.2. Weder Tauschen noch Schenken

Freie Software und andere Freie Produkte sind nicht Gegenstand irgendwelcher Tauschvorgänge. Freie Software steht allen zur Verfügung, die sie benötigen - sie kann einfach genommen werden. Auch wer überhaupt nichts zu Freier Software beigetragen hat - wie jedeR durchschnittlicheR Gnu/Linux-NutzerIn -, kann sie in vollem Umfang und ohne Abstriche nutzen, sich die Quellen anschauen, daraus lernen und sie weitergeben. Das Konzept des Tausches ist auf Freie Produkte schlicht nicht anwendbar. Das schließt im übrigen ein, daß auch eine Person, die etwas gibt, nicht erwarten kann, dafür etwas zu bekommen. Andererseits kann auch nicht von Geschenken im engeren Sinne gesprochen werden, da Freie Software im allgemeinen nicht für bestimmte andere Personen geschrieben wird. Höchstens von einem Geschenk an die Menschheit könnte gesprochen werden.

3.3. Die Rolle digitaler Kopien und des Internets

Diese in dieser Dimension völlig neue Form des Wirtschaftens ist historisch erst durch die Erfindung der digitalen Kopie und durch deren breite Verfügbarkeit ermöglicht worden. Erst der Computer ermöglichen die massive Senkung der Transaktionskosten einer digitalen Kopie und die qualitätsverlustfreie Replizierbarkeit beliebiger digitaler Daten: Software, Web-Seiten, Kochrezepte, Reiseberichte, Briefe, Bilder, Schaltpläne, Musik, etc.. Das Internet, das als riesige Fernkopiereinrichtung verstanden werden kann, überschreitet die Beschränktheit des lokalen Computers und ermöglicht eine weltweite Vernetzung. Das Internet bringt in historisch neuer Qualität weltweit verstreute Menschen zusammen, die am gleichen Thema interessiert sind. Freie Software ist ein Beispiel dafür, wie fruchtbar diese globale Vernetzung sein kann.

3.4. Individuelle Selbstentfaltung als Motor

Zwar bekommen die AutorInnen Freier Software kein Geld, aber natürlich haben auch sie etwas davon, daß sie Software schreiben. Eine der wichtigsten Triebfedern dürfte der Spaß am Programmieren sein, der für einige schon Befriedigung genug ist. Aber auch die konkrete Nützlichkeit für sich oder andere spielt eine wichtige Rolle bei der Erstellung Freier Software. Dadurch richtet sich der Fokus der AutorInnen auf den Gebrauchswert, auf die umfassende Qualität der Software. Wieder andere haben einfach Freude an der Kooperation in einem Team aus Gleichgesinnten. Personen, die sich als MaintainerIn eines Freien Software-Projekts betätigen, müssen Spaß an der Kommunikation, Organisation und auch mal am Treffen von Entscheidungen haben, die den Konsens in einem Projekt widerspiegeln. Einige schreiben allerdings Freie Software auch, weil sie der Welt etwas geben wollen. Die Gründe, die zu Freier Software führen, lassen sich als Wunsch nach Selbstentfaltung zusammenfassen - und diese Selbstentfaltung ist individuell höchst unterschiedlich. AutorInnen Freier Software, die in der Regel aus anderen Quellen materiell abgesichert sind, brauchen aufgrund dieser verwirklichten Selbstentfaltung keine äußere Motivation für ihr Tun, sondern die Tätigkeit ist sich selbst genug.

3.5. Einfach nehmen

In der Konsequenz führt das zu einer Wirtschaftsform, in der die zur Verfügung stehenden Produkte im Überfluß zur Verfügung stehen und in der alle einfach das nehmen können, was sie brauchen. Es ist kein Tausch irgendwelcher Werte mehr notwendig und dennoch ist die bestmögliche Versorgung gewährleistet. Gelingt es, diese Aspekte, die heute in der Freien Software schon weit entwickelt sind, auf die Produktion zunächst weiterer Informationsgüter und dann auf die materielle Produktion auszudehnen, dann hat diese neue Wirtschaftsform das Potential den Kapitalismus mit seiner über Tausch, Arbeit und Geld vermittelten Zwangslogik abzulösen. Erste Entwicklungen, die die Prinzipien der Entwicklung Freier Software auf andere Güter übertragen, sind schon vielfältig sichtbar und bei dem momentanen Entwicklungstempo könnten die Umbrüche schneller gehen, als wir uns heute vorstellen können.'''


Wenn Margrit Kennedy an der herrschenden Ökonomie kritisiert, dass sich "alles rechnen müsse", so trifft sie durchaus den Kern des Problems. Die einfache Logik, wie sie von den Vätern der liberalen Wirtschaftstheorie immer wieder formuliert wurde, lautet "Das Kapital wendet sich immer den rentabelsten Anlagen zu" (Adam Smith). In diesem Satz sind die Spielregeln nachvollziehbar zusammengefasst:

1) Im Kapitalismus handeln nicht Menschen, sondern das Kapital. Die Menschen haben ihre makroökonomische Entscheidungs- Kompetenz an die "unsichtbare Hand des Marktes" abgegeben, sich einem Automatismus ausgeliefert.

2) Das Kapital richtet sich nur nach einem einzigen Kriterium, nämlich der Rentabilität. Dieses Kriterium repräsentiert eine einfache quantitative Logik, die Geld- Logik. Das in die ökonomische Basis- Aktion investierte Geld muss sich möglichst stark vermehren (Geld > Investition > Mehr Geld). Dieser einfache Steuerungsmechanismus regelt unser aller (Wirtschafts-) Leben. Es gibt deshalb kein "genug" oder gar "zu viel" (Gorz)

3) Der Steuerungsprozess geht nicht von den Bedürfnissen der Menschen aus, sondern von Geldproportionen ("Angebot und Nachfrage"). Produktion und Absatz stehen im Mittelpunkt. Der Konsum zählt nur als Kaufentscheidung und Geldtransfer. Der Konsument selber, also der konkrete Mensch mit seinen Lebensäußerungen, Wünschen, Begehren (Foucault) interessiert nur indirekt im Moment der Nachfrage, eben als Geldgeber.

4) Wohl und Wehe der Bevölkerung hängt an der jeweiligen Rentabilität des Kapitals. "Marktkonforme" Politik kann letztlich immer nur versuchen, die Profitrate des Kapitals möglichst hoch zu halten oder zu steigern, um ES zu Investitionen zu veranlassen. Menschen müssen sich prostituieren und anbiedern, um für das Kapital rentabel, nutzbar, wertvoll zu sein. Ihre Wünsche zählen nichts im Vergleich zu dem quasi naturgesetzlichen Anspruch des Kapitals.

5) Diese Logik der Rentabilität tendiert dazu, alle anderen Lebensbereiche zu kolonisieren und einen speziellen Sozialcharakter, einen unerfreulichen Menschentyp zu erzeugen. Gerade die unangenehmen "männlichen" Eigenschaften aus dem Verhaltensrepetoire der Menschen werden gefördert, wie Berechnung, Egoismus, Neid, Konkurrenz, Anspruchsdenken, Machtallüren, Einsamkeit usw., während die schönen "weiblichen" Seiten ignoriert oder kontraproduktiv werden, wie Großzügigkeit, Solidarität, Dankbarkeit, Liebe, Wohlwollen, Zuwendung...

Zu diesen Konstruktionsfehlern von Kapitalismus und Waren- Wirtschaft sehe ich keine Alternative in den Vorschlägen Gesells. Der Entwicklungsstand der kapitalistischen Logik würde höchstens partiell zurückgedreht (antiglobalistische/ handwerkliche Tendenzen), oder es könnte auch passieren, dass die dynamischen (bis destruktiven Anteile) des Systems - ebenfalls regional sehr unterschiedlich noch weiter entfesselt würden. Ein noch erfolgreicherer Kapitalismus wäre für mich aber eine Horror- Vorstellung und alles andere als ein Wunschziel.

Auch die Tauschringe erlauben zwar durchaus neue Erfahrungen (zB größere Unabhängigkeit vom Geld, Entdecken neuer Fähigkeiten, neue Kontakte, anregende Diskussionen usw.) , lassen aber wenig Begeisterung entstehen. Ich habe mich jedenfalls durch das rigide Verrechnungssystem und das (vom Anspruch her) knallharte Leistungs- Prinzip in unserem Tauschring reichlich unter Druck gefühlt. Oft hätte ich lieber die Freiheiten des Geldes mir gewünscht , als die verklemmende Anstrengung entsprechender Gegenleistungen. Für mich blieb immer das Gefühl von Notstandsverwaltung und Ersatzlösung bestehen - auch gegen meinen Willen und meine theoretische Offenheit.

Uli Frank

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